Ja es stimmt, die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow ist falsch. Die Schwächen dieser Theorie sind so gravierend, dass von der Nutzung in der Praxis dringend abzuraten ist. Das kuriose ist, dass dies nicht erst seit gestern bekannt ist. Die Maslow Pyramide wurde schon zu Lebzeiten Maslows kritisiert (1908-1970). Seit ca. 15 Jahren (!) sind sich Wissenschaftler aber einig, die Bedürfnispyramide ist nicht nur fragwürdig, sondern falsch.
Grund weshalb die Bedürfnispyramide seit ihrer Erfindung durch Abraham Maslow kritisiert wurde
Der Grund ist eigentlich ganz einfach: Maslow konnte (oder wollte) keine empirischen Belege für seine Pyramide vorlegen. Er selbst kommunizierte, dass er die Bedürfnispyramide nur aus eigenen Beobachtungen erschaffen hatte und keine Beweise für seine Theorie hat.
Bis heute sprechen alle Studien gegen Maslow´s Pyramide.
Fehler Nr.1: Die hierarchische Einteilung der Bedürfnisse macht laut neueren Studien keinen Sinn
Nehmen wir an eine Person ist hungrig. Laut der Maslowschen Bedürfnispyramide müsste die Person damit beginnen Nahrung aufzunehmen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. Bei Menschen ist es aber so, dass mehrere Bedürfnisse gleichzeitig auftreten können und der Mensch immer selbst entscheiden kann welches Bedürfnis er zuerst befriedigt.
Dazu ein Beispiel: Eine hungrige Person wird von einem Löwen angegriffen. Es ist eher unwahrscheinlich, gar vollkommend auszuschließen, dass die Person in diesem Moment daran denkt ihren Hunger zu stillen. Sondern sie wird sich mit allen Mitteln gegen den Löwen verteidigen.
Man könnte sich jetzt zahlreiche weitere Situationen ausdenken die ebenfalls gegen eine hierarchische Struktur der Bedürfnisse sprechen. Dies ist aber nicht nötig, denn:
Maslow wurde noch zu Lebzeiten mit diesem Problem konfrontiert!
Als Antwort gab er an, die Bedürfnispyramide würde sich an dem langfristigen Verhalten der Menschen orientieren und nicht ihre Reaktionen in kurzfristigen Situationen beschreiben.
Tausende von Menschen wiederlegen diese Aussage Tag für Tag.
Beispiel 1: Straßenmusiker
Auf deutschen Straßen leben viele Straßenmusiker, die alle ihre Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt haben, nur um ihren Traum der Freiheit und der Musik zu verwirklichen. Nach der Theorie von Maslow absolut undenkbar. Trotzdem entschieden sich tausende Menschen für diesen Lebensstil.
Beispiel 2: Elon Musk
Elon Musk verdiente mit dem Verkauf von PayPal 180 Millionen Dollar. Nachdem er das Geld erhalten hatte investierte er 100 Millionen in die Gründung von SpaceX, einem Raumfahrtunternehmen. 70 Millionen investierte er in Tesla, dem Elektro-Auto-Hersteller und die restlichen 10 Mio. Dollar investierte er in ein Solarenergie-Unternehmen namens SolarCity.
Die Folge seiner Investitionen war, dass er sich von Freunden Geld für die Miete leihen musste, weil er alles in die Gründung seiner drei Unternehmen gesteckt hatte. Laut Maslow´s Pyramide hätte er sich zuerst langfristig um seine finanzielle Sicherheit kümmern müssen oder zumindest genug Geld aufheben um die Miete zahlen zu können.
Studien
Wenn man davon ausgeht, dass die Befriedigungsabfolge der menschlichen Bedürfnisse hierarchisch abläuft, dann müsste es Zusammenhänge zwischen den einzelnen Befriedigungsniveaus geben.
Beispiele
Erstes Beispiel: Wenn die sozialen Bedürfnisse aus langfristiger Sicht unbefriedigt sind, dann sollten die Individualbedürfnisse, laut Maslow, auch unbefriedigt sein.
Zweites Beispiel: Wenn die Sicherheitsbedürfnisse bei einer Person langfristig unbefriedigt sind, dann sollten auch die Sozialbedürfnisse und alle anderen darüber liegenden langfristig unbefriedigt sein.
Drittes Beispiel: Wenn die physiologischen Bedürfnisse aus langer Sicht befriedigt sind, dann sollten die Sicherheitsbedürfnisse ein höheres Befriedigungsniveau haben als, wenn die physiologischen Bedürfnisse langfristig unbefriedigt währen.
Was diese Beispiele ausdrücken sollen: Laut der Bedürfnispyramide sollte es höhere Zusammenhänge zwischen den Befriedigungsgrad benachbarter Bedürfniskategorien geben und nur geringe Zusammenhänge zwischen auseinanderliegenden Bedürfniskategorien.
Einfach ausgedrückt: Je besser die Bedürfnisse der unteren Kategorien befriedigt sind, desto besser sollten auch die Bedürfnisse der oberen Kategorien befriedigt sein. Genauso umgekehrt: Wenn die Bedürfnisse der unteren Kategorien (langfristig) unbefriedigt sind, dann sollten auch die oberen Kategorien unbefriedigt sein.
In der Studie wurden sogenannte Regressionsanalysen verwendet. Diese müssten einen Zusammenhang zwischen benachbarten Ebenen feststellen und es dürfte keine oder nur geringe Zusammenhänge bei auseinanderliegenden Bedürfnissen geben. (In Bezug auf das Befriedigungsniveau).

Wie man auf der Abbildung oben erkennen kann, gibt es einen Zusammenhang von 23% zwischen der physiologischen- und der Sicherheitsebene.
Zusammenhang zwischen der Ebene 1 & 2: 23%
Zusammenhang zwischen der Ebene 2 & 3: 6%
Zusammenhang zwischen der Ebene 3 & 4: 24%
Zusammenhang zwischen der Ebene 5 & 6: 10%
Diese Daten geben zwar an, dass die einzelnen Stufen in irgendeiner Form zusammenhängen. Aber besonders aussagekräftig sind diese nicht.
Wenn man sich jetzt den Zusammenhang zwischen der ersten Ebene (Physiologische) und der fünften Ebene (Selbstverwirklichung) anschaut, welcher bei 29% liegt, merkt man schnell, dass eine hierarchische Abstufung der menschlichen Bedürfnisse absolut keinen Sinn macht. (Taormina & Gao, 2013).
Menschen vernachlässigen dauerhaft Bedürfnisse aus unteren Ebenen der Pyramide, um Bedürfnisse aus oberen Ebenen zu befriedigen!
Maslow geht in seiner Theorie davon aus, dass wenn ein Bedürfnis einer bestimmten Kategorie langfristig unbefriedigt bleibt, der Mensch zunächst dieses Bedürfnis befriedigen wird, bevor er sich um die Bedürfnisse, der darüber liegenden Kategorien kümmert.
Allerdings gibt es mehrere Studien die dies widerlegt haben, beispielsweise Wahba & Bridwell, 1976.
Beispiel: Eine Person hat Schwierigkeiten genügend Nahrung zu bekommen. Da Nahrung bzw. Hunger ein Bedürfnis der untersten Kategorie ist (physiologische Bedürfnisse) sollte diese Person, laut der Bedürfnispyramide, zunächst dafür sorgen, dass sie dauerhaft mit Nahrung versorgt wird.
Wenn man das oben erläuterte Beispiel betrachtet, könnte man meinen, dass Menschen wirklich so agieren. Aber wenn man in dem Beispiel das physiologische Bedürfnis der Nahrungsaufnahme durch das physiologische Bedürfnis des Schlafens ersetzt wird schnell klar, dass die meisten Menschen nicht so handeln.
Gleiches Beispiel mit dem Schlafbedürfnis: Eine Person hat Schwierigkeiten dauerhaft genügend Schlaf zu bekommen. Sie arbeiten Vollzeit, macht Überstunden, kümmert sich um ihre Kinder, geht Einkaufen und verbringt sogar noch Zeit mit ihrem Hobby. Um diesen Lebensstil leben zu können schläft sie nur 5-6 Stunden pro Nacht, obwohl ihr eigentliches natürliches Schlafpensum bei 8 Stunden liegt.
Laut der Bedürfnispyramide von Maslow dürfte sich kein Mensch der Welt für so einen Lebensstil entschieden haben. In Wahrheit wissen wir aber alle, dass dieser (oder ein ähnlicher) Lebensstil auf einen Großteil der Bevölkerung der westlichen Welt zutrifft. Dies steht im völligen Widerspruch zur Theorie der Bedürfnispyramide.
Laut der Maslowschen Bedürfnispyramide müssten Bedürfnisse aus unteren Ebenen für Menschen bedeutsamer werden, wenn diese nicht befriedigt sind. Es gab schon viele Studien, die zeigten, dass dies nicht der Fall ist, beispielsweise die Studie von Wahba & Bridwell, 1976. Das oben genannte Beispiel ist ein guter Anhaltspunkt dafür.
Fehler Nr.2: Anzahl und Zuteilung der Bedürfnisse
Maslow ging davon aus, dass sich alle menschlichen Bedürfnisse in eine der fünf Kategorien der Bedürfnispyramide zuordnen lassen.
Zunächst einmal sei gesagt, dass es noch keine finale Einteilung der menschlichen Bedürfnisse gibt. Es gibt verschiedene Ansätze und diese sind gut untersucht, aber als endgültige Version kann der aktuelle Status quo der Bedürfnisforschung nicht angesehen werden.
Als Beispiel können die drei Grundbedürfnisse genannt werden (Leistung, Macht, Anschluss). Diese drei Bedürfnisse sind mittlerweile sehr gut untersucht und konnten in zahlreichen Studien belegt werden.
Es gibt aber auch andere Ansätze die von mehreren Bedürfnissen (bzw. Bedürfniskategorien) ausgeht. Ein Beispiel ist die Theorie von Reiss, welche davon ausgeht, dass er Mensch 16 Lebensmotive hat.
(Anmerkung: Bei der Theorie von Reiss geht es um Motive, nicht um Bedürfnisse. Aber ein Motiv und ein Bedürfnis stehen in unmittelbaren Zusammenhang. Zu jedem Bedürfnis gibt es ein Motiv und umgekehrt.)
Selbstversuch: Ordne diese menschlichen Bedürfnisse in eine der Kategorien der Bedürfnispyramide ein (funktioniert nicht!)
- Entspannung
- Abwechslung
- Struktur, Ordnung & Routine
- Besitz (Materielles)
- Komfort
- Leistung
- Bewegung
Offensichtlich gibt es keine klare Kategorie in der Bedürfnispyramide, denen man die oben genannte Bedürfnisse zuordnen könnte. Wenn man alle menschlichen Bedürfnisse in eine bestimmte Anzahl an Oberkategorien einteilen möchte, braucht es andere als die von Maslow vorgeschlagenen. Eine endgültige Einteilung gibt es aber noch nicht.
Gründe, wieso die Bedürfnispyramide immer noch so weit verbreitet ist
Bei den folgenden Gründen handelt es sich lediglich um eine Vermutung meinerseits. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass eine solche Untersuchung jemals statistisch durchgeführt wurde.
Grund 1: Es gibt deutlich mehr Menschen, auf die sie nicht zutrifft als Menschen auf die sie zutrifft.
Es ist bewiesen, dass die Bedürfnispyramide nicht die allgemeine menschliche Motivation beschreibt. Da Maslow seine Theorie aber anhand von jahrelanger Beobachtungen ausmachte kann man annehmen, dass es Menschen gibt die langfristig nach der Hierarchie der Pyramide handeln. (Siehe: Erklärung zu Fehler Nr.1 und Taormina & Gao (2013)).
Dies könnte für einige ein Grund sein die Bedürfnispyramide in der Praxis anzuwenden. Man darf aber nicht vergessen, dass es deutlich mehr Menschen gibt, auf die die Pyramide nicht zutrifft als umgekehrt.
Außerdem sollte man beachten, dass die Theorie ausschließlich Bedürfnisse verwendet, um die menschliche Motivation zu erklären. Andere Faktoren werden (auch aufgrund des Alters) vollkommen außer Acht gelassen. (Siehe dazu auch: Motivation und Lexikon der Motivationspsychologie).
Grund 2: Sie ist einfach und es wäre schön, wenn es so einfach wäre.
Die Menschen sind (vermutlich) das komplexeste und intelligenteste Lebewesen im gesamten Universum. Dass man dessen Verhalten angeblich mit einer einfachen fünfstufigen Pyramide erklären könne klinkt für viele vielleicht einfach zu verlockend und sie verwenden sie deshalb.
Grund 3: Zu wenig Informationsverbreitung
Ein einfacher und logisch klingender Grund könnte auch sein, dass sich zu wenige Psychologen (und auch andere die es besser wissen) mit der Verbreitung modernerer Theorien beschäftigen. Folglich wissen es Anwender der Bedürfnispyramide einfach nicht besser.
Grund 4: Nicht klar erkennbar, dass es sich um eine Lehrtheorie handelt.
Die Bedürfnispyramide wird immer noch zu Lehrzwecken verwendet, deshalb wird sie auch in aktuelleren Lehrbüchern immer noch erläutert. Und meiner Ansicht nach ist nicht in allen Lehrbüchern klar erkennbar, was als Lehrtheorie gilt und was als aktuelle Theorie angesehen werden kann. Deshalb könnten manche Praxisanwender annehmen, dass die Bedürfnispyramide immer noch aktuell ist.
Fazit
Fakt 1: Maslow konnte (oder wollte) nie einen empirischen Beweis für die Bedürfnispyramide vorlegen.
Fakt 2: Studien der letzten 30 Jahre zeigten immer wieder, dass an der Bedürfnispyramide nichts Zentrales dran ist was als empirisch belegbar gelten kann. Die Studien widerlegten sogar die zentralen Aussagen der Pyramide.
Fakt 3: Die Bedürfnispyramide ist außerhalb der Psychologie die am weitesten verbreitete psychologische Theorie und immer noch in praktischer Nutzung.
Fakt 4: In der Psychologie wird die Pyramide von Maslow als eine historische Theorie angesehen die nur noch zu Lehrzwecken gebraucht wird.
Fakt 5: Von der Nutzung in der Praxis ist dringend abzuraten.
Quellen
Taormina, R. J. & Gao, J. H. (2013). Maslow and the motivation hierarchy: Measuring satisfaction of the needs. American Journal of Psychology, 126, 155-177.
Wahba, M. A. & Bridwell, L. G. (1976). Maslow reconsidered: A review of research on the need hierarchy theory. Organizational Behavior & Human Performance, 15, 212-240.